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Elvira Nabiullina (58) ist seit Jahren eine der wenigen Frauen in Russlands oberster Polit- und Wirtschaftselite. Die gebürtige Tartarin bekleidete bereits Posten in der russischen Regierung und steht seit 2013 an der Spitze der Zentralbank Russlands, als erste Frau in dieser Position. Mit strenger Geldpolitik trug sie maßgeblich dazu bei, die russische Wirtschaft zu stabilisieren, nachdem die erste Welle westlicher Sanktionen aufgrund der Annektion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland im Jahr 2014 das Land hart getroffen hatte.
Das brachte ihr Anerkennung in internationalen Bankenkreisen. Und auch Russlands Präsident Wladimir Putin (69), so ist zu lesen, lege großen Wert auf den Rat und die Unterstützung der studierten Volkswirtin Nabiullina.
Doch nun liegt der Machthaber mit seiner wichtigsten Bankerin offenbar über Kreuz. Wie zuerst die Finanznachrichtenagentur Bloomberg mit Verweis auf vier mit der Angelegenheit vertraute Personen berichtete, wollte Nabiullina ihr Amt als Zentralbankchefin aufgeben, nachdem Putin den Angriff Russlands auf die Ukraine gestartet hatte. Auch das "Wall Street Journal" berichtet über den Rücktrittsversuch. Die Notenbankerin sei vom russischen Angriff auf die Ukraine überrascht worden und mit dem Krieg nicht einverstanden, so die Zeitung mit Verweis auf eine informierte Quelle.
Mit Rücktrittsgesuch offenbar abgeblitzt
Das Ansinnen des Rücktritts wurde demnach von Putin jedoch abgelehnt – der Staatschef nominierte Nabiullina stattdessen vor wenigen Tagen für eine dritte Amtszeit.
Eine Bestätigung für die Berichte gibt es nicht. Aus Moskau heißt es lediglich, die Darstellung entspreche nicht der Realität. Klar scheint jedoch: Die Welt ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht mehr die, in der Nabiullina mit Überzeugung ihre Arbeit machen kann. Schon vor einigen Wochen zitierte die "Financial Times" einen russischen Banker, der Nabiullina seit Langem begleitet. Die Zentralbankchefin habe ihm einmal gesagt, so der Banker, sobald in Russland Kapitalkontrollen eingeführt würden, sei für sie der Zeitpunkt für einen Rücktritt gekommen.
Eine international angesehene Notenbankerin
Solche Kontrollen gibt es inzwischen. Nach den drastischen Sanktionen des Westens als Reaktion auf den russischen Ukraine-Angriff wurden in Moskau verschiedene Maßnahmen ergriffen, um den abstürzenden Rubel zu stabilisieren, die Inflation im Zaum zuhalten und die russische Wirtschaft vor dem Kollaps zu bewahren. Zentralbankchefin Nabiullina etwa setzte den Leitzins ihres Instituts schlagartig auf 20 Prozent in die Höhe – mehr als eine Verdopplung gegenüber dem vorherigen Wert von 9,5 Prozent. Zudem sind russische Unternehmen seither gezwungen, 80 Prozent der Umsätze, die sie in ausländischer Währung machen, in Rubel zu tauschen. Auch Devisenabflüsse ins Ausland wurden eingeschränkt.
Gewohnt, in Extremsituationen zu agieren
Für Nabiullina, die sich Berichten zufolge privat für französische Poesie und die Oper begeistert, ist das ein extremes Szenario. Zwar ist sie es gewohnt, unter ungemütlichen ökonomischen Umständen zu agieren. 2014, nach Russlands Krim-Annektion, war sie mit den ersten Sanktionen der EU sowie der USA konfrontiert. Der Ölpreis, ein Barometer für Russlands Rohstoffeinnahmen, befand sich seinerzeit auf Talfahrt, ebenso wie auch der Rubel. Die Inflation in dem Riesenreich schoss dagegen in die Höhe.
Nabiullina reagierte mit entschiedenen Stützungsmaßnahmen, und schon wenige Jahre später befand sich Russland zurück auf Wachstumskurs.
Das hat ihr Ansehen über die Grenzen Russlands hinaus eingebracht. Internationale Medien wie "The Banker" oder "Euromoney" zählten Nabiullina zu den besten Geldpolitikerinnen und -politikern weltweit. Christine Lagarde (66), seinerzeit Chefin des Internationalen Währungsfonds und heute Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) pries die Bankerin, mit der sie die Liebe zur Oper teilt, in den höchsten Tönen.
Das aktuelle Umfeld mit dem Krieg in der Ukraine und den deutlich drastischeren Reaktionen des Westens ist jedoch noch einmal etwas anderes. Insbesondere die Entscheidung westlicher Länder, Russlands Devisenreserven einzufrieren, dürfte Nabiullina geschockt haben. Über Jahre hatte die Zentralbankchefin einen der mit rund 630 Milliarden Dollar größten Devisenberge aufgebaut, auch als Rückhalt für schwere Zeiten, wie sie jetzt gekommen sind. Doch nun kann Nabiullina kaum noch auf diese Ersparnisse ihres Landes zurückgreifen .
Hinzu kommt: Diejenigen, die Nabiullina jahrelang für ihre Fähigkeiten als Bankerin geschätzt haben, sehen ihre Nähe zu Putin inzwischen immer kritischer. "Sie ist eine sehr professionelle, erfahrene Volkswirtin und Zentralbankerin, kein Zweifel", sagt etwa die ehemalige ukrainische Zentralbankchefin Valeria Gontareva (57). "Aber ohne Werte ist Professionalität nichts wert."
Beobachter wissen: In der Welt der Zentralbanken, in der es auf jeden Zwischenton ankommt, wird auf vielfältige Weise kommuniziert – zum Teil auch nonverbal. Bei Elvira Nabiullina etwa sei die Wahl des Schmucks, den sie trug, in den vergangenen Jahren vielfach als geldpolitischer Hinweis gedeutet worden, schreibt die "FT". Umso bemerkenswerter ihr Auftritt unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine: Mit ernster Miene saß die Zentralbankchefin da an einem langen Konferenztisch mit Präsident Putin und Beratern – ganz in Schwarz gekleidet und ohne Schmuck.
"Nabiullina hat jede Art von Stress mitgemacht, aber keinen Krieg", zitiert die "FT" einen Offiziellen, der sie persönlich kennt. "Niemand hat ihr gesagt, das dies kommen würde."
Zentralbankchefin in Schlüsselposition
Klar ist: Als Zentralbankchefin kommt der 58-Jährigen eine Schlüsselposition zu beim Versuch Russlands, mit den westlichen Sanktionen fertig zu werden, deren Wirkung bereits zu beobachten ist. Russen stürmen die Lebensmittelläden und decken sich mit dem Nötigsten ein, lange Schlangen haben sich auch schon vor Geldautomaten gebildet.
Die Inflation in Russland ist dem Wirtschaftsministerium zufolge bereits auf den höchsten Stand seit November 2015 gestiegen. Sie habe am 18. März aufs Jahr hochgerechnet bei 14,5 Prozent gelegen nach 12,5 Prozent in der Vorwoche, teilte das Ministerium in dieser Woche mit. Dem Statistikdienst Rosstat zufolge stiegen die Preise bei fast allen Gütern, von Babynahrung über Medikamente. Die Preise für Zucker und Zwiebeln hätten dabei um mehr als 13 Prozent zugelegt.
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Nabiullina macht aus der Notlage ihres Landes keinen Hehl. Russlands Finanzsystem und die Wirtschaft seien mit einer "total anormalen Situation konfrontiert", sagte die Zentralbankchefin bei einem Auftritt vor der Presse kurz nach Beginn der Ukraine-Invasion (bei dem sie ebenfalls in schlicht Schwarz erschien).
Was bleibt da also noch zu tun? Der einzige Weg für Nabiullina vorwärts sei es, den Rubel-Kurs zu fixieren, die nötigen Einschränkungen zu beschließen, eine Bankpanik zu verhindern – und ihr Kündigungsschreiben einzureichen, sagte kürzlich Ukraines Ex-Notenbankerin Gontareva. Auf diese Weise habe Nabiullina die Chance, eine weltweit respektierte Person zu bleiben.
Einen Versuch dazu hat Russlands Notenbankchefin offenbar gerade vergeblich unternommen.